Serie „Slip“ von Zoe Lister-Jones bei Paramount (2024)

„Du kannst sein, was du willst“ – mit dieser Beteuerung und den dazugehörigen Figuren konterte der Spielzeugkonzern Mattel einst den Vorwurf von Feministinnen, seine „Barbie“-Puppen seien Anleitungen zur Unterwerfung unter ein männliches Frauenwunschbild. Zurzeit bekommt man das in Mattels knallbuntem Werbevehikel in den Kinos noch einmal buchstabiert. Wem das anachronistisch vorkommt, dem sei als Gegen­ent­wurf die Serie „Slip“ von Zoe Lister-Jones empfohlen. Sie stellt das ver­meintlich vorhandene Panorama der Mög­lichkeiten mit einer verkorksten Identitätssuche auf den Kopf.

Mae Cannon (Zoe Lister-Jones) ist Kuratorin in einem New Yorker Museum, hat mit ihrer Mitarbeiterin Gina (Tymika Tafari) eine Freundin, mit der sie durch dick und dünn gehen kann und lebt seit dreizehn Jahren mit dem liebenswerten Elijah (Whitmer Thomas) zusammen, einem erfolgreichen Schriftsteller. Doch fehlt Mae der gewisse Kick.

Alles so banal hier, klagt sie aus dem Off. Und tatsächlich ist das vermeintlich aufregende Leben in der Kunstszene von Brooklyn überschattet von einer in Langeweile welkenden Beziehung. „Wann hast du eigentlich das letzte Mal gebumst?“, fragt Gina denn auch besorgt. „Du kommst mir total verspannt vor.“

Existenzsprünge und „Wer bin ich?“-Momente

Prompt genehmigt sich Mae einen One-Night-Stand mit einem attraktiven Musiker namens Eric (Amar Chadha-Patel), hat den Sex ihres Lebens und – wacht als Erics Ehefrau auf. Sie hat die Nummern von Hailey Bieber und Gigi Hadid im Handy und Gina sagt ihr auf einen Hilferuf hin: „Oh nein, ich verschaffe dir keinesfalls noch mehr Drogen.“ Auch der nächste tolle Sex, mit der Barbesitzerin Sandy (Emily Hampshire), führt Mae in eine neue Existenz, als Gattin von Sandy und Mutter der kleinen Eva, die ihre beiden Mamas gegeneinander ausspielt. Die einzige Konstante ist Gina, die sich indes immer nur an die gerade aktuelle Lebensschiene erinnert. Als Mae ihr die seltsamen Vorgänge zu erläutern versucht – „Ich glaube, meine puss* ist ein Wurmloch“ – quittiert Gina das mit den Worten: „Okay, krass. Wenn du sie so nennen willst.“

„Slip“ spielt wunderbar überdreht mit der Idee, Identität sei verhandelbar, und mit der Hoffnung, ein neues Gewand sorge für ein neues, erfüllteres Leben. Mae fühlt sich in keiner ihrer Existenzen wohl. Ist ihr, wie Gina meint, schlicht nichts gut genug? Nach mehreren Existenzsprüngen und panischen „Wer bin ich?“-Momenten wird Mae klar, über was für ein seltsames Vehikel sie verfügt. In der vierten Folge wirft sie sich einem protzigen Wall Street-Banker an den Hals, um in die nächste Dimension zu gelangen.

Die Serie spießt Geschlechterrollen auf, sie unterläuft Genres, Stereotypen und den männlichen Blick. Sie ist teils krasser Witz, teils Drama, teils zarte Lovestory. Indem sie die Sexszenen selbst schrieb, inszenierte und spielte, sagte Zoe Lister-Jones der „Los Angeles Times“, habe sie die Hoheit behalten: „Ich bin hier Subjekt, Objekt und Puppenspielerin.“ Tatsächlich wirken die Szenen nicht voyeuristisch, sondern intim und erotisch.

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Lister-Jones, die als Tochter der Videokünstlerin Ardele Lister und des Fotografen Bill Jones in Brooklyn aufwuchs, schrieb die Serie während der kollektiven Krise im Lockdown der Coronavirus-Pandemie. Dazu kam persönliche Bedrängnis: Ihre Ehe mit dem Filmemacher Daryl Wein war dabei, in die Brüche zu gehen. Mit Wein hatte sie an mehreren Projekten zusammengearbeitet, darunter 2009 „Breaking Upwards“ über die strategische Trennung eines Paares, sowie 2012 „Lola Versus“ mit der späteren „Barbie“-Regisseurin Greta Gerwig in der Hauptrolle. Sie selbst stand 2010 neben Will Ferrell und Mark Wahlberg in Adam McKays „The Other Guys“ vor der Kamera und war in mehreren Episoden von „New Girl“ zu sehen. Ihr Regiedebüt gab sie 2017 mit der Komödie „Band Aid“, wo sie als Autorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin fungierte. So verhält es sich auch bei „Slip“.

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Im Raum zwischen Wollen und Bekommen, heißt es an einer Stelle, könne man lieben lernen. Aber Lister-Jones hütet sich, große Versprechen oder Erkenntnisse zu verbreiten; stattdessen nimmt sie ihre Hauptfigur immer wieder auf die Schippe – schonungslos, aber liebevoll, und meist in Gestalt von Gina, deren Mundwerk so groß ist wie ihr Herz. Jede der Figuren aus „Slip“ berührt, vor allem durch ihre Verletzlichkeit, nicht zuletzt dank der durchweg großartigen Darsteller.

Eine zweite Staffel ist geschrieben, auch wenn sie offiziell noch kein grünes Licht hat. Sollte es dazu kommen, stellte Lister-Jones in Aussicht, habe Mae alle Hebel in der Hand.

Slip läuft bei Paramount+.

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